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4. April 2011 / bereg

Fluch und Segen: BionX!

Meine Frau, Suzanne, und ich sind leidenschaftliche Radler. In den letzten zehn Jahren waren wir auf Urlaubsreisen fast ausschließlich mit Fahrrad unterwegs.  (siehe www.suzannegibson.de bzw. www.janoskertesz.de)

Bei unseren letzten Radtouren haben wir mit Schrecken festgestellt, dass wie die Jahre vergehen, so werden unsere Tagesstrecken kürzer, aus Hügeln werden Berge und aus Gegenwind wird ein Gegenorkan. Müssen wir etwa langsam ans Aufhören denken?

Eine eventuelle Lösung bietet sich durch elektrische Unterstützung an. In den letzten zehn Jahren sind so viele Pedelec-Systeme (Pedal Electric Cycle) entwickelt worden, dass es schwierig ist, einen Überblick zu bekommen. Schon die Betriebs-Philosophie der einzelnen Erzeugnisse ist sehr unterschiedlich. Einige Motoren registrieren, ob man überhaupt pedaliert, dann kann man schon Zusatzkraft dazu schalten. Andere Systeme messen den Kettenzug und verstärken den proportional.

Für uns ist die wichtigste Frage: Ist es mit einer E-Motorunterstützung überhapt noch Fahrradfahren, oder ist so ein Fahrzeug eher ein Moped? Den wollen wir keines Falls!

Nach langer Recherche in verschiedenen Internetforen haben wir uns entschieden, es mit dem E-Motor BionX zu versuchen. Dies ist ein Unterstützungsystem, das auch auf vorhandenen Fahrräder als Nachrüstsatz montierbar ist. Wir wollten unsere guten Tourenräder Koga Miyata Randonneur nachrüsten.

Anfang Februar haben wir die Motoren bei einem Münchener Spezialhändler bestellt. Die sollten in etwa zwei Wochen da sein. Die kamen, nachdem ich überhaupt nicht mehr geglaubt habe, dass sie jemals noch kommen würden,  erst nach neun (!) Wochen. Man kann sich die neugierige Vorfreude der ersten Probefahrt vorstellen!

Dann die Riesenenttäuschung! Der Zahnradkranz eierte! Nicht ein bißchen, sondern richtig kräftig! Wieso die kanadische Herstellerfirma sich leisten kann, ein immerhin 1800 Euro teueres System so durch die Qualitätskontrolle zu lassen, ist mir unverständlich! Der Motor an dem Fahrrad meiner Frau funktionierte übrigens einwandfrei.

Also zurück zum Händler. Er meinte, es gibt auf das Gerät eine Werkgarantie, also wir müssten es nach Kanada schicken. Aber er kann es nicht garantieren, dass das Ersatzgerät nicht genauso eiert. Sie eiern nämlich. Es wurde mir in dem Laden gleich vorgeführt: Jedes zweite eierte!

Ich verstehe es nicht! Es kann doch im Jahr 2011 nicht so schwierig sein, auf eine Nabe eine einigermaßen gerade Gewinde zu schneiden!

So. Jetzt habe ich ein Problem. Ich bin 73, also kann ich an einer Hand zusammenzählen, wie lange ich noch überhaupt Fahrradtouren fahren kann, BionX hin oder her. Wenn ich jetzt den Motor zurückschicken lasse, ist ein Sommer von vielleicht dreien oder vieren vorbei. Aus diesem Grund nehme ich mir gezwungenermaßen vor, das Rad so wie es ist, mitzunehmen und es etwas ausführlicher auszuprobieren.

Wir sind in der ersten Aprilwoche von Passau nach Wien geradelt. Ja, geradelt! Es war ein Erlebnis wie eine Offenbarung!

Mit unserem System BionX PL250 HT kann man je nach Bedarf entweder ohne Zusatzkraft (Fahrrad bleibt Fahrrad) oder mit Zuschaltung einer Unterstützung von 35, 75, 150 oder 300 % der eigenen Kraft fahren. Wir benutzten auf dem Donauradweg fast immer nur Stufe 1.  Mit Stufe 2 oder 3 sind wir zu jeder Burg oder Kirche hochgekommen, wo wir auch in jüngeren Jahren schieben mussten. Mit Stufe 4 kann man auf Bäume klettern, allerdings gibt der Motor bei dieser Anstrengung  ungute Geräusche von sich.

Bei dieser Fahrweise, also meistens in Stufe 1, kamen wir mit voller Akkuladung überraschend weit. Das Rad wiegt mit Motor um die 25 kg, Urlaubsgepäck etwa 20 kg, und ich auch 110 kg. Trotzdem habe ich nach etwa 70 km Tagesstrecke nie mehr als 2/3 des Stromes verbraucht; Suzanne nicht mal die Hälfte. Am Abend lädt man den Akku wieder auf. Eine entleerte Batterie braucht etwa 4 Stunden Ladezeit, und  je nach Strompreis kostet die Ladung etwa 10 Cent.

Und was das Fahrgefühl betrifft, es ist wie vor zehn Jahren. Nein, es ist besser! Wir haben es in der Hand, wie weit wir uns anstrengen, ohne uns völlig zu verausgaben. Wenn man sparsam mit der Unterstützung umgeht, ist man am Abend angenehm müde, ohne platt zu sein. Genau diese Kontrolle über den Anforderungsspitzen, die uns in den letzten Jahren immer mehr zusetzten, betrachte ich als den größten Vorteil des Pedelecs.

Auf dem Donauradweg mit BionX (April 2011)

PS: Der Zahnkranz eiert nach wie vor. Ich muß es beobachten, ob es nicht schlimmer wird. Sonst ist es zwar ärgerlich, aber unter den gegebenen Umständen weiß ich noch nicht, wie ich weiter vorgehen werde.

Nachtrag:  Inzwischen sind fast zwei Jahre vergangen und wir sind mit den nachgerüsteten Rädern etwa 7000 Kilometer gefahren. Da mein BionX-Motor immer mehr eierte und in der 4. Stufe Raspelgeräusche von sich gab, wurde er nach 1500 Kilometer im Rahmen der Garantie ausgewechselt. Seitdem haben wir keine Beanstandung.  Von dem oft beschriebenen Nachlassen der Akku-Kapazität merken wir wenig. Wir betrachten die elektronische Unterstützung nach wie vor als Segen.

One Comment

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  1. Beat Schreiber / Apr 23 2011 20:14

    Hallo Janos,
    Danke für diesen informativen und auch mit Freude zu lesenden Bericht.
    Aber vor allem Gratulation zu deiner Fitness, mit oder ohne Pedelec 😉
    Ich wünsche dir und deiner Frau nicht nur 3…4 Fahrradsommer sondern
    am besten 10…20.

    Liebe Grüsse
    Beat

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